Warum?

Bei Veranstaltungen soll ein Raum für Identitätsfindung, Begegnung und Wissensaustausch entstehen. Im Idealfall lernen Menschen sich kennen und kreieren ein Gemeinschaftsgefühl. Das persönliche Erleben von Veranstaltungen geht jedoch weit auseinander. Für manche ist  es eine ausgelassene Feier oder eine produktive Konferenz – andere erleben Ausgrenzung, verbale, körperliche oder sexualisierte Übergriffe.
Diskriminierung zeigt sich im direkten zwischenmenschlichen Verhalten und/oder durch strukturell verankerte Ungleichbehandlung. Nicht jede Diskriminierung passiert bewusst oder absichtlich. Kein Raum ist per se diskriminierungs- und gewaltfrei.
Der Gang zur Toilette wird zum Problem, wenn es nur die Aufteilung in “Männer” und “Frauen” gibt, Menschen sich aber weder der einen noch der anderen Kategorie zuordnen können oder wollen. Gewalterfahrungen auf öffentlichen Toiletten sind vor allem für Trans*menschen Realität. Aufgrund von rassistischen Hausordnungen und Stereotypisierungen wird vor allem männlich gelesenen BIPoC der Eintritt in den Club verwehrt. Koloniale Bilder von “unzivilisierten Kulturen” führen immer noch zu Vorstellungen von “aggressiven, fremden Barbaren” oder “exotischen Schönheiten” und resultieren in gravierend menschenverachtendem Verhalten. Auf einem Festival beendet ein Security Mitarbeiter seinen Arbeitseinsatz, weil er den rassistischen Übergriffen seiner Kolleg*innen ausgesetzt ist. Es gibt unzählige dieser Beispiele.
Viele gehen erst gar nicht auf bestimmte Veranstaltungen. Der eine ist skeptisch, ob er sich unter all den im Promo-Video angekündigten normschlanken Menschen wohlfühlen würde. Die andere bleibt mit ihrer Freundin lieber zu Hause, um als lesbisches Paar abfällige oder erotisierende Bemerkungen zu vermeiden. Eine alleinerziehende Person verzichtet auf den Vortrag, um die besser bezahlte Nachtschicht zu übernehmen.
Gerade im Vergnügungssektor gibt es verstärkt Hemmungen, solche Erlebnisse zu thematisieren und sichtbar zu machen. Es kann von Veranstaltungsbetreibenden und Besucher*innen als nervig empfunden werden, sich mit Diskriminierung und Gewalt beschäftigen zu müssen. Eine große Rolle kann auch die Angst spielen, nicht ernst genommen zu werden. Für viele ist es unklar, an wen sie sich wenden können und wie mit dem Problem umgegangen würde. Zusätzlich sind die Themen meist mit Schuld und Scham besetzt, was die Aufarbeitung deutlich erschwert.
Der Mythos der Mitschuld von Betroffenen hält sich hartnäckig. Ihre Glaubwürdigkeit ist demnach daran gekoppelt, ob ihr Verhalten vor und nach der Tat sowie ihr allgemeiner Lebensstil den gesellschaftlichen Bildern eines “Opfers” entspricht. Betroffene werden gefragt, was sie zum Tatzeitpunkt trugen, ob sie Substanzen konsumiert hatten oder warum sie nicht direkt etwas unternommen haben. Es wird behauptet, sie hätten sich besser schützen müssen oder anders reagieren sollen. Selten richten sich Ideen zur Verhaltensänderung an gewaltausübende Personen. Während es bei ihnen strafmildernd wirkt, wenn sie zum Tatzeitpunkt nicht nüchtern waren, bekommen Betroffene oft das Gegenteil zu hören.
Vorurteilsbehaftete Grenzverletzungen sind keineswegs rein veranstaltungsbezogene Probleme. Sie spiegeln das allgemeine gesellschaftliche Geschehen wieder. Eine Online-Studie der LAG Queeres Netzwerk Sachsen zählte in Sachsen mindestens 1672 Fälle von vorurteilsmotiverter Gewalt gegen LGBTIQ* innerhalb der letzten fünf Jahre. Die Beratungsstelle von RAA Sachsen meldete 2018 im Vergleich zum Vorjahr eine Zunahme an rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt um 38%. Diese Gewalttaten sind nur die Spitze des Eisbergs. Darunter liegt ein gesellschaftliches System der Abwertung und Ausgrenzung.
Wir sehen alle Akteur*innen im Veranstaltungskontext in der Verantwortung Anti-Diskriminierungs-Strategien zu entwickeln und umzusetzen. Der Abbau von gesellschaftlichen Machtdynamiken und Barrieren ermöglicht im Team ein Arbeiten auf Augenhöhe. Überforderung und Stress kann vorgebeugt werden, wenn es klare Handlungsanweisungen und geeignete Ansprechpersonen gibt, die bei Diskriminierung und anderen Fällen von Gewalt zum Einsatz kommen. Eine klar kommunizierte Haltung des Veranstaltungsbetriebs unterstützt Mitarbeiter*innen und Gäste dabei, Diskriminierung zu begegnen.
Generell ist es wichtig, über Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen zu sprechen. Tauscht euch darüber aus, was ihr als betroffene Personen erlebt und wann ihr selbst diskriminierend und gewaltvoll gehandelt habt. Redet miteinander über Erfahrungen, Ängste und Bedürfnisse und nehmt es ernst, wenn andere von ihren Erlebnissen berichten.