Transformative Arbeit mit gewaltausübenden Personen

Allgemein bevorzugen wir die Bezeichnung diskriminierende/gewaltausübende Person (kurz: dgP) anstatt “Täter*in”. Wir finden, dass der Begriff “Täter*in” Assoziationen von einer absichtlich und bewusst “bösen” Person hervorruft, die bestraft werden muss. Das steht im Weg, wenn wir uns konstruktiv damit beschäftigen wollen, wie wir Veränderung schaffen und die Wiederholung von gewaltvollen Handlungen verhindern können. Es kann Fälle geben, in denen Betroffene bewusst von “Täter*in” sprechen möchten, um Geschehnisse nicht zu verharmlosen.
Häufig wird mehr über Schuld und die dgP diskutiert als zu schauen, was ein guter Umgang in einer Situation ist. Der Fokus sollte l klar bei der betroffenen Person und ihren Bedürfnissen liegen. Dementsprechend können Gespräche mit der dgP geführt werden oder die Person wird der Veranstaltung verwiesen (Zusammenarbeit mit Security). Dabei geht es nicht vorwiegend um die Bestrafung der dgP. Vielmehr soll  Verständnis für die Auswirkung einer Handlung geschaffen werden, um  eine innerlich motivierte Veränderung bei der Person hervorzubringen, sodass die Tat nicht wiederholt wird. Wenn Personen ihr Verhalten nicht reflektieren wollen und sich einem Perspektivwechsel versperren, ist es notwendig, konsequent Grenzen zu ziehen. Auch kann das Ausmaß an Gewalt einen Schutzraum oder eine Person so treffen, dass ein lösungsorientiertes Gespräch der Verletzung nicht gerecht wird. In diesen Fällen kann die dgP langfristig Hausverbot bekommen.
Wenn wir über die Arbeit mit dgPs sprechen, haben alle verschiedene Situationen im Kopf (Vergewaltigungen, unsensible Flirtversuche, Angrabschen, Schlägereien, Ausgrenzung, Aggressionen, Abwertung, Sprüche, Beleidigungen, sehr raumgreifend Tanzende, männlich gelesene nackte Oberkörper, etc.). Wir können also nicht allgemein über den Umgang mit der dgP sprechen. Es kann Gespräche geben, die anstrengend sind und starke emotionale Abgrenzung erfordern. Es kann sehr komplexe uneindeutige Situationen geben, die keinen klaren, einfachen Umgang aufzeigen oder sehr belastende, chaotische Situationen, die schnelle Deeskalation erfordern. Häufiger erleben wir konstruktive Gespräche und dankbare Reaktionen, wenn wir problematisches Verhalten ansprechen.
Achtet auf eure Grenzen als Awareness-Person und gesteht euch Überforderung ein. Es ist notwendig, gut für das eigene Wohlbefinden und Sicherheit zu sorgen. Trefft daher Absprachen im Team, ob ihr gerade fit seid für ein intensives Gespräch mit dgPs und welchen Rahmen ihr dafür braucht. Zum Beispiel kann zur Unterstützung eine Person des Security-Teams in der Nähe bleiben und regelmäßig fragen, ob alles ok ist.
Generell ist es wichtig, klare Absprachen innerhalb der Veranstaltungscrew zu haben, besonders mit den Securitys. Wer ist für was verantwortlich? Wo überschneiden sich Aufgabenfelder? Wann arbeitet man zusammen oder gibt Fälle ab? Was passiert, wenn die dgP eine “wichtige” Position im Veranstaltungsbetrieb innehat, zum Beispiel an einer überfüllten Bar arbeitet oder ein Artist* ist, die*der gleich auftritt?
Je nach Situation und Ressourcen kann es manchmal unmöglich sein, ein tiefgreifendes Gespräch mit der dgP zu führen. Dafür ist es hilfreich, einen mehrsprachigen Infozettel zu haben, eventuell mit einer Kontaktadresse für ein Gespräch nach der Veranstaltung.
Grundsätzlich gilt: Besprecht die Grenzen eurer Möglichkeiten und Fähigkeiten im Team, überfordert und überlastet euch nicht. Überprüft, ob ihr persönlich befangen seid, weil ihr eine persönliche Beziehung zu einer involvierten Person habt und nicht mit genug Abstand reagieren könnt. Es ist wahrscheinlich, dass ihr während eurer Arbeit mit eigenen Themen konfrontiert, beziehungsweise getriggert, werdet. Nehmt euch Zeit für euch und im Team, auf der Veranstaltung oder auch in den Tagen danach, um die Situation zu reflektieren und emotional zu integrieren ( → Gute Nacharbeit).
 
Die transformative Arbeit mit der dgP in der Awareness beschränkt sich meistens auf die Veranstaltung. Bei langwieriger und nachhaltiger Arbeit mit dgP wird von den Ansätzen der Community Accountability und Transformative Justice gesprochen ( →  Weiterführende Literatur).